Lernort Kino – Filmarbeit mit jungen Flüchtlingen und deutschen Schüler*innen
Abschlussveranstaltung am 11.02.2020 im Murnau-Filmtheater Wiesbaden
Audiobeitrag: Identitätsbildung im Kino (Söling)
Wenn das Kino auch zum Lernort wird, Artikel im Filmecho 7/2020
Der Schauspieler Rauand Taleb, bekannt aus NUR EINE FRAU und 4 BLOCKS, ist zu Gast im Murnau-Filmtheater, um mit den Schüler*innen der Schulze-Delitzsch-Schule den Abschluss des Projekts LERNORT KINO zu feiern. Im voll besetzten Kinosaal erzählt er von seiner Arbeit als Schauspieler in Filmen und Serien, die gesellschaftlich relevante Themen wie Clan-Kriminalität und „Ehrenmord“ aufgreifen.
Rauand Taleb und Michael Schmidt
Michael Schmidt, Ständiger Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden bei der FSK, eröffnet den Austausch zwischen Schauspieler und Publikum. Im Film NUR EINE FRAU spielt Rauand Taleb den Bruder des Mordopfers, der den tödlichen Schuss abfeuert. Die Filmgeschichte basiert auf dem wahren Fall der türkisch-kurdischen Berlinerin Hatun Sürücü. Interessiert befragen die Schüler*innen den Schauspieler, wie man sich auf eine derart belastende Rolle vorbereitet und wie man dies auch verarbeitet. Darüber hinaus redeten Schauspieler und Schüler*innen über die immense Wichtigkeit, dem Opfer durch den Film eine Stimme zu geben.
Das von den Ständigen Vertretern der Obersten Landesjugendbehörden Rheinland-Pfalz durchgeführte Projekt wird von den Geschäftsführungen der SPIO und FSK, Helmut Poßmann und Stefan Linz, sowie von der Geschäftsführung der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Christiane von Wahlert, unterstützt. Gefördert wird das Projekt durch das Kulturamt der Stadt Wiesbaden.
Im Projekt LERNORT KINO wurde im Sinne der Medienkompetenzförderung auf eine Bandbreite an Genrefilmen gesetzt. Bis dato sind etwa 250 junge Geflüchtete und Berufsschüler*innen der Schulze-Delitzsch-Schule im Alter zwischen 16 und 18 Jahren beteiligt. Einmal im Monat diskutieren sie über Themen wie Demokratie, Toleranz, Geschlechterrollen, Familienbilder, Freundschaft und Liebe. Gezeigt wurden unterschiedliche Spiel- und Kurzfilme, darunter europäisches Kino und Blockbuster, die sich im gemeinschaftlichen Erleben für einen kritischen Wertediskurs mit den Schüler*innen eignen:
- Klassiker wie CINEMA PARADISO, mittels derer über Jugendschutz, Zensur und die Frage, ob Küsse und Sexualität gezeigt werden dürfen, diskutiert wurde,
- Science Fiction wie TRIBUTE VON PANEM und THE CIRCLE, anhand derer über Demokratie gesprochen wurde,
- Dramen wie JUGEND OHNE GOTT, zu dem der Produzent Uli Aselmann mit den Jugendlichen über Chancengleichheit und Ausgrenzung diskutierte,
- Komödien wie ALMANYA-WILLKOMMEN IN DEUTSCHLAND, zu der Schauspieler Aykut Kayacik ausführte, dass jeder Mensch seine Chancen nutzen sollte, um das zu werden, was zu ihm passt und
- Coming-Of-Age-Filme wie LOVE SIMON und VERSTEHEN SIE DIE BELIERS sowie Filmbiografien wie HIDDEN FIGURES und ZIEMLICH BESTE FREUNDE, die unterschiedliche Identitätskonzepte und Geschlechterrollen sowie Gleichberechtigung von Frau und Mann zum Thema machen.
- Im Fokus der Filmauswahl stand nicht zuletzt die Initiative gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit: GRAN TORINO, THE HATE U GIVE, LEROY, SKIN – Filmgeschichten, die zu Verständnis und Verständigung beitragen und so das Rückgrat der Demokratie stärken können.
Birgit Goehlnich, Ständige Vertreterin der Obersten Landesjugendbehörden bei der FSK zieht eine positive Bilanz zum 4-jährigen Projekt: Intensive, auch kontroverse Filmgespräche im Kino, Wertedebatten in Kleingruppen, tiefgreifende Einzelinterviews zwischen Projektteam, Schüler*innen und Gästen stehen für Kommunikation und Austausch, was Integration und Identitätsfindung der jungen Geflüchteten und jugendlichen Schüler*innen unterstützen kann.
Birgit Goehlnich
Simone Breitsch, Abteilungsleiterin der höheren Berufsfachschulen an der Schulze-Delitzsch-Schule unterstreicht die Bedeutung des Filmprojekts für eine positiv verlaufende Integrationsphase, vor allem in Hinblick auf die Förderung der Kommunikation in deutscher Sprache. Sie betont ebenso den Wert der schulischen Nachbereitung der Filmerlebnisse, indem sich die Schüler*innen intensiv mit den Filmgeschichten, den filmischen Helden und den Botschaften der Filme in Relation zu ihren eigenen Lebenserfahrungen auseinandergesetzt haben.
Simone Breitsch
Jörg-Uwe Funk, Leiter des Kulturamtes Wiesbaden, unterstreicht die Kraft von Filmen, die mit unterschiedlichen Filmfiguren zu Identifikation und Auseinandersetzung einladen. Insbesondere ist es aus seiner Sicht bedeutsam, dass junge Flüchtlinge in der Phase der Integration unterstützt werden.
Jörg-Uwe Funk
Sebastian Schnurr, Kinoprogrammgestalter bei der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, führt als Moderator und Projektbeteiligter durch die Veranstaltung.
Das Projektteam, Sebastian Schnurr zweiter von links