LERNORT KINO

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Filmanalyse

Meinungsbilder

Reflexionen über die Meinungsbilder der am Projekt beteiligten Schüler:innen

Grundsätzliches Ziel des Deutschunterrichts ist die Förderung der Kulturtechniken im Zusammenhang mit Sprechen, Lesen und Schreiben. Er ist aber ebenso darauf ausgerichtet, die Schüler:innen dahingehend zu fördern, dass sie am kulturellen Leben in seinen vielfältigen Formen aktiv und verständig teilnehmen können. In der Regel stellen Texte die Basis des Unterrichts dar, die, insbesondere von Schüler:innen mit Migrationshintergrund, trotz des Einsatzes kreativer Methoden und unterschiedlicher Sozialformen, als langweilig und anstrengend empfunden werden. Die Möglichkeit, den Deutschunterricht in der Zweijährigen Höheren Berufsfachschule der Schulze-Delitzsch-Schule in Wiesbaden, die überwiegend von Schüler:innen mit Migrationshintergrund besucht wird, mit dem Kinoprojekt LERNORT KINO kombinieren zu können, stellte sich deswegen als willkommene Ergänzung zum Schulunterricht heraus. Denn wenn ein Bild mehr als 1.000 Worte sagt, wie viel sagt dann erst ein Film?

Vorbereitend und begleitend zum Kinoprojekt wurden im Deutschunterricht Kurzgeschichten zu Themen wie Vorurteile, Gleichberechtigung, Geschlechterrollen, Rassismus und Zusammenleben von Kulturen ausgewählt. Die Schüler:innen haben für die Kurzgeschichten ein Ende verfasst, Beziehungen in Standbilder umgesetzt, Charaktere und Verhaltensweisen analysiert und diskutiert. Sie waren teilweise verwundert über die Inhalte oder die verwendete Sprache und haben das Ende abgelehnt, aber eine emotionale Betroffenheit, Identifikation oder Empathie konnten die Kurzgeschichten kaum erzeugen.

Anders gestaltete sich das Unterrichtsgeschehen bei der Reflexion der im Kinosaal des Murnau-Filmtheaters gezeigten Filme. Der Film THE HATE U GIVE (USA 2018), in dem der afroamerikanische Khalil von einem weißen Polizisten erschossen wird, hat alle Schüler:innen mitgenommen, auch, da er durch die Tötung des US-Amerikaners Georges Floyd im Jahre 2020 eine ungeahnte Aktualität hatte. In der Klasse wurde über das Verhalten und die Entwicklung der Protagonistin Starr, die sich nach der Tötung ihres Freundes beginnt zu engagieren, ebenso diskutiert, wie über ein mögliches Mitverschulden des getöteten Khalil durch Fehlverhalten. Zudem wurde im Unterricht die Frage diskutiert, ob ein solcher Vorfall auch in Deutschland denkbar wäre. Die Schüler:innen waren sich einig, dass eine ungerechtfertigte Tötung durch die Polizei zwar eher unwahrscheinlich sei, Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland aber deutlich häufiger Repressalien durch die Polizei erfahren würden. Ihre Einschätzung untermauerten einige Schüler*innen mit zum Teil erschütternden Erlebnissen von Diskriminierung in ihrem Lebensalltag.

Nach der Sichtung des Films NUR EINE FRAU (D 2019), der vom Mord an der türkisch-kurdischen Berlinerin Hatun Sürücü durch ihren eigenen Bruder handelt, herrschte in der Klasse Entsetzen und Wut – Entsetzen darüber, dass auch in Deutschland offensichtlich noch immer muslimische Mädchen zwangsverheiratet werden, es in Deutschland zu Morden aus dem Grund der Wiederherstellung der familiären Ehre kommen kann und das Strafmaß für die Täter nicht hoch genug ausfällt. Bei den muslimischen Schüler:innen dominierte die Wut, da sie ihre Religion falsch bzw. zu einseitig dargestellt sahen. Sie machten darauf aufmerksam, dass es in jeder Religion extreme Ausprägungen gäbe, diese aber die Minderheit darstellten. Sie erzählten von „ihrer“ Religion, den fünf Säulen des Islam, von Problemen während des Fastens aber auch vom Fastenbrechen. Davon, wie problematisch es sei, die täglichen Gebete in den Alltag zu integrieren, von Almosen und warum sie ein Kopftuch tragen bzw. nicht tragen würden. Eine Muslima erzählte davon, wie ihre Großmutter versucht hätte sie davon zu überzeugen, auf das Kopftuch zu verzichten – weil sie mit Kopftuch in Deutschland keine Chance hätte, einen guten Job zu bekommen. Die Klasse hörte still zu, denn das Erzählte war nicht nur interessant, viele sahen sich ertappt und ihre Vorurteile hinterfragt.

Der Film LOVE, SIMON (USA 2018), in dem ein homosexueller Junge von einem Mitschüler geoutet wird, brachte die hitzigsten Diskussionen mit sich, da die Einstellung der beteiligten Schüler:innen zu Homosexualität die komplette Bandbreite der Möglichkeiten widerspiegelte. Insbesondere die Schülerinnen waren offen und erzählten von homosexuellen Frauen oder Männern im Freundeskreis. Für sie gehört Homosexualität zur Normalität. Anders verhielt es sich bei Teilen der Mitschüler. Einige hatten keine Meinung oder waren albern, andere waren der festen Überzeugung, Homosexualität sei ein Tabu. Als Gründe führten sie an, dass „es“ unnatürlich sei, eklig und außerdem Gotteslästerung. Interessant hierbei war, dass genau diese Schüler nach dem Film SKIN (USA 2018) die Neonazis als dumm und unreflektiert betitelten, weil sie Menschen anderer Hautfarbe nur aufgrund ihrer Äußerlichkeiten hassten. Mit ihren eigenen Aussagen konfrontiert, wurde es zunehmend lauter und teilweise unsachlich, denn es herrschte ein absolutes Unverständnis über die jeweils andere Meinung.

Aus Sicht der beteiligten Lehrer:innen der Schulze-Delitzsch-Schule in Wiesbaden war das Projekt ein voller Erfolg. Entgegen der Befürchtung kamen die fachlichen Inhalte Sprechen, Lesen und Schreiben nicht zu kurz, sondern wurden mit einer ungeahnten Leidenschaft ausgeführt, sodass die Projektbeteiligung als willkommene und vor allem nachhaltige Erweiterung des traditionellen Unterrichts gewertet werden kann. Durch die emotionale Anteilnahme und Betroffenheit sowie durch die Identifikation mit Charakteren und Situationen, waren die Schüler:innen motiviert, ihre Meinung zu äußern, zu diskutieren, ihre Einstellung zu reflektieren und ihr Verhalten zu überdenken. Dabei wurden sie mit anderen Meinungen konfrontiert, sie haben diskutiert, versucht zu überzeugen und erkannt, dass unterschiedliche Meinungen und Einstellungen akzeptiert sowie toleriert werden müssen und manchmal auch helfen, den eigenen Horizont zu erweitern. So funktioniert Demokratie!

Autorin:
Susanne Jung, Lehrerin an der Schulze-Delitzsch-Schule, Wiesbaden

Filmfragebögen

Die Fragebögen können als Arbeitsmaterialien genutzt werden und/oder inhaltliche sowie thematische Impulse geben, wenn diese Filme im Rahmen von Projektvorhaben oder im Unterricht zum Einsatz kommen.   

Checkliste

Die Checkliste soll der Orientierung dienen und Impulse für die Durchführung eigener Medienkompetenzprojekte geben.

Filmliste Medienkompetenz-Projekte

Die Filmliste stellt eine nach Themenfeldern geordnete Auswahl an Filmen bereit, die sich für Medienkompetenzprojekte eignen.

Filmanalyse: Arbeitsblatt und Mini-Lexikon

Das Arbeitsblatt kann begleitend zu einer Filmsichtung als Einstieg genutzt werden, um sich mit dem Thema Filmanalyse zu beschäftigen. Das Mini-Lexikon dient als Nachschlagewerk für die einzelnen Fachbegriffe.

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